Ina saß da und starrte abwesend aus dem Fenster. Sie bekam nichts von den Gesprächen mit die um sie herum stattfanden. Immer und immer wieder überlegte sie, was sie denn tun könnte, aber sie kam zu keinem Ergebnis. Sie seufzte gerade leise, als ihre Freundin Bell sie anstupste. „Hast du gehört? Was hältst du davon?“ Fragend sah Ina sie an. „Ach du, du hast mal wieder nichts mitbekommen“ meckerte Bell los. „Seit ein paar Tagen bist du seltsam, das muss ich dir jetzt schon mal sagen“ Ina zuckte nur mit den Schultern, sie hatte keine Lust, ihrer Freundin alles zu erzählen. „Ich muss jetzt los, wir sehen uns später“, mit diesen Worten holte Ina den Geldbeutel raus, suchte das Geld für die Cola zusammen, legte es auf den Tisch und ging wortlos davon. Die verblüfften Blicke ihrer Freundin sah sie nicht mehr.
Langsam und in Gedanken versunken ging sie durch die kleinen Gassen ihrer Stadt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte und wie sie alles regeln sollte. Als sie zwischendurch aufblickte, merkte sie, das sie im Stadtpark angekommen war. Müde ließ sie sich auf eine Bank fallen und blickte auf den angelegten Teich. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das Problem in den Griff bekommen sollte, langsam kam Verzweiflung in ihr hoch. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie musste heftig schlucken. Nein, sie wollte nicht schon wieder weinen! Inas Blick glitt in den Himmel und sie verfolgte das Wolken-Sonne-Spiel, das sich ihr bot. Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken und sie blickte auf ihre Uhr. Es war an der zeit, den Heimweg anzutreten...Ina seufzte noch mal leise und stand schweren Herzens auf, es half ja nichts hier sitzen zu bleiben.
Ina schlug den Weg zu ihrer Wohnung ein, je näher sie der Strasse kam, um so weniger ansehnlich wurde die Gegend. Alles war kahl, die Strassen und Wege ohne Grün, und Hochhäuser säumten den Heimweg. Auf fast jeder zweiten Bank saßen Obdachlose mit Bierflaschen in der Hand, Scherben lagen an jeder Ecke. Wie immer musste sie den Blick abwenden und suchte Trost im Blau des Himmels, als sie endlich den Schlüssel in die Türe steckte und die Haustüre aufsperrte. Wie auch schon die letzten Woche betrat sie den Hausflur mit einem komischen Gefühl im Magen, und bemühte sich, die Spinnweben und den Schimmel, die kaputten Türrahmen und Fenster zu ignorieren. Im Vorbeigehen nahm sie die Post aus dem Briefkasten, einen Schlüssel dafür brauchte sie nicht- alle Schlösser waren aufgebrochen. Dann stieg sie schnell dir Treppen hinauf in den 4. Stock, öffnete ihre Wohnungstüre, als sie drin war drehte sie schnell den Schlüssel um. Ihr erster Gang war zu ihrem Fenster, das einzige in der kleinen Wohnung. Sie öffnete es und suchte mit ihren Blicken den Himmel. Ja, dieses Blau beruhigte sie etwas. Dann setzte sie sich in ihren Sessel und öffnete die Post, eine Absage nach der anderen kam zum Vorschein....Ina wusste nicht mehr weiter. Dieses mal ließen sich die Tränen nicht herunterschlucken und sie liefen ihr über das Gesicht. Bittere Tränen weinend saß sie im Sessel.
Das alles hätte sie sich vor ein paar Wochen noch nicht mal in ihren schlimmsten Träumen ausgemalt. Da war die Welt noch in Ordnung. Zornig zerknüllte sie die Briefe und warf sie durchs Zimmer. Was konnte sie denn dafür, das ihr Chef sich verspekuliert hatte, die Firma pleite ging und die firmeneigenen Wohnungen versteigert wurden? Das die letzten Gehälter nicht bezahlt werden konnten...nichts, rein gar nichts konnte sie dafür. Aber sie musste es ausbaden, wie so viele andere aus ihrer ehemaligen Firma. Es gab anscheinend so viele arbeitslose Sekretärinnen, das für sie keine Stelle übrig war. Und das Geld vom Arbeitsamt langte gerade für diese Wohnung in dieser Gegend. Aber mit einem Wohnsitz inmitten lauter Sozialfälle bekam man nicht mal die Möglichkeit auf eine neue Arbeit, doch ohne Arbeit konnte sie nicht umziehen...in Teufelskreis war das, in dem Ina steckte.
Ihre Freundin Bell wusste von all dem nichts. Bell hatte keine finanziellen Sorgen, sie arbeitet in der Firma ihres Vaters. Und das war eine angesehene Rechtsanwaltskanzlei mit der besten Lage. Sicherlich, sie hätte Bell fragen können, ob bei ihrem Vater was frei wäre, doch das wollte sie nicht. Sie schämte sich, obwohl sie nichts dafür konnte. Nur: lange konnte sie es sicherlich nicht mehr vor Bell verheimlichen. Ina wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. „Erstmal einen Bissen essen“ sagte sie zu sich selber und öffnete den Kühlschrank. Sie nahm etwas Butter und Honig raus, mehr war nicht drin. Auch das Brot war schon etwas hart, aber Ina schluckte fast trotzig die Bissen hinunter. Nein, sie würde nicht aufgeben, sie nicht. Nachdem sie die Scheibe Brot langsam aufgegessen hatte, schob sie den Sessel zum Fenster und blickte in den Himmel. Lange saß sie so da und genoss das Bild, das die Wolken im Spiel mit den Sonnenstrahlen ergaben. Von irgendwoher konnte sie leise ein Lied hören und das machte den Anblick noch schöner. Als es finster war, stand sie langsam auf, begann sich zu waschen und legte sich ins Bett. Das einzige, was ihr geblieben war, war eine kleine Stereoanlage. Sie holte aus einem Karton ihre Kopfhörer und CDs hervor, schaltete die Anlage ein und genoss die Musik bis sie einschlief.
Am nächsten Morgen blickte Ina aus dem Fenster, alles war trüb und eine Wolkenfront hing über der Stadt.. „Na prima, passt ja super zu meiner Stimmung“, brummte sie, schaltete die Anlage ein und machte sich auf den Weg ins Bad. Als sie wieder das Bad verließ, war ihre Stimmung etwas besser. So eine Dusche wirkt manchmal Wunder, dachte sie bei sich. Frohen Mutes stellte sie Wasser auf den Herd, um sich einen Kaffe zu machen und etwas zu essen. Als sie den Kühlschrank öffnete, verschwand ihr gute Laune wieder....außer ein Rest Honig und Butter beinhaltete er ja nichts. Ina dachte seufzend an ihren früher so gut gefüllten Kühlschrank, was hatte sie nicht alles weggeworfen- und das könnte sie nun alles brauchen. Gut, es half ja nichts und so würde es eben ein Honigbrot geben „Besser als gar nichts“ sagte sie zu sich, schenkte sich den frisch aufgebrühten Kaffee ein und begann zu essen. Heute war Freitag, kein guter Tag um sich in Firmen vorzustellen oder Bewerbungen einzuwerfen, alle dachten schon ans Wochenende. Ina seufzte, zum ersten Mal an diesem Tag. Und, sie musste dringend etwas einkaufen, nur wie, das war die Frage. Ihr Arbeitslosengeld kam erst in 5 Tagen, ach es war zum heulen.
Nach dem Essen stand Ina auf , holte sich ihren Geldbeutel, den sie Nachts immer unter der Matratze versteckte...ihr war es so sicherer. Sie leerte den Inhalt auf dem Tisch aus und begann zu zählen. Im Hintergrund lief der Radiosender, ihre Stimmung hellte sich etwas auf, als sie den Refrain des Liedes hörte: „close your eyes and see my blue skies breaking trouhg these dark clouds“ und sie sang leise mit. „27,69 Euro“ murmelte Ina, „na gut das muss eben langen, es sind ja nur noch 5 Tage.“ Und 5 Euro pro Tag waren ja auch nicht so schlecht, sie hatte es schon geschafft mit weniger auszukommen, als der Umzug einiges verschlungen hatte. Ina steckte das Geld wieder ein und ging zum Fenster. Immer noch alles trüb und das regnen hatte es auch noch angefangen. Aber es half nichts, das Brot würde für heute nicht mehr reichen. Sie trank den letzten Schluck aus der Tasse, stellte sie in die kleine Spüle, nahm ihre Jacke und ging. Sie sperrte die Türe zweimal zu, sicher war sicher. Zwar hatte sie keine Reichtümer, und die paar Kleinigkeiten, die sie noch hatte waren einen Einbruch nicht wert, aber trotzdem. Immer wieder sah sie sich um, als sie durchs Treppenhaus ging, ihr war es einfach hier nicht geheuer. Schnell schlüpfte sie durch die Türe, und war irgendwie erleichtert an der frischen Luft zu sein. Ein Blick in den Himmel sagte ihr, es würde heute keine Sonne durchkommen, Ina seufzte. Schnellen Schrittes durchquerte sie die Strasse, verschwendete keinen Blick an die Obdachlosen, die schon wieder auf ihren Bänken saßen und tranken. Ina ekelte das alles an.
Endlich kam sie in die Nähe des Parks, hier wurde auch die Gegend schöner, keine Hochhäuser sondern Doppelhaushälften, schöne Gärten und saubere Strassen und Gehwege. Ina ging langsamer und genoss die Umgebung und das viele Grün. Dabei überlegte sie, was sie tun sollte den ganzen Tag. „Ich werde einfach mal etwas spazieren gehen, einkaufen eilt ja nicht es ist ja noch früh am Tag“ sagte sie zu sich selber. Ina schlenderte weiter, betrachtete erfreut die Umgebung und merkte, wie sich ihre Stimmung immer mehr verbesserte. Nach einiger Zeit, Ina hatte nicht darauf geachtet wo sie hinlief, stand sie vor einem Wald. Sie war so in Gedanken gewesen, das sie nicht geachtet hatte, wo sie hinlief. Sie wollte schon umkehren, als sie ein kleines Haus entdeckte, das hinter Bäumen versteckt war. „Das seh ich mir noch an, und dann kehre ich um“ nahm sie sich vor. Langsam aber zielstrebig ging sie auf das Haus zu, das sich beim näher kommen als kleines Gartenhäuschen entpuppte. Gut, es war nicht gerade das Schönste, an einigen Stellen war was zu machen und der Zaun hatte auch schon bessere Tage gesehen. An manchen Stellen waren Löcher oder die Bretter waren so morsch, das sie abgebrochen waren. Neugierig ging Ina um das Haus herum. Auch die Büsche und Sträucher waren sehr verwildert. Es sah so aus, als wenn es leer stehen würde. Sie ging langsam an ein Fenster heran um durchzusehen. Als sie mit der Hand die Scheibe abwischte und durchsah bemerkte sie einen Schatten in der Wohnung, etwas bewegte sich .
Ina erschrak.
Für eine Maus war es zu groß, dachte sie bei sich und ging zur Türe um nachzusehen. Vielleicht war da jemand und brauchte ihre Hilfe. Sie klopfte an der Türe, nichts tat sich nur ein Geräusch, das sie nicht einordnen konnte war zu hören. Ina nahm all ihren Mut zusammen und öffnete die Türe. „Hallo? Hallo, ist da jemand?“ rief Ina durch den Spalt, den sie die Türe geöffnet hatte. Wieder hörte sie das Geräusch, es klang wie ein scharren, oder ein brummen...oder doch wie ein klopfen, Sie wusste es nicht.
Obwohl sie Angst hatte, öffnete sie die Türe ganz.
Ina rief nochmals: „Hallo?“ doch nichts tat sich, nur dieses Geräusch war auf ihre Worte zu hören. Langsam stieß sie die Türe ganz auf, etwas Licht fiel in das Haus und sie konnte ein Bett, einen Tisch mit 2 Stühlen und eine kleine Küche erkennen. Alles sah verwahrlost aus. Vorsichtig betrat sie das Häuschen und sah sich neugierig um. Da es zu finster war, um genau was zu erkennen können, zog sie die Vorhänge vorsichtig auf. Die Fenster waren mit Spinnweben verreckt und die Scheiben hatte sicher schon lange niemand mehr geputzt. Gelüftet worden war hier sicher auch schon seit einer Ewigkeit nicht mehr, Ina stieß das Fenster auf, sofort wurde das Häuschen von frischer Luft durchzogen. Sie verlor ihre Scheu und machte sich daran, das Innere des Hauses zu erkunden. Irgendwie sah es bewohnt aus, aber der Staub und die abgestandene Luft...Ina wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie öffnete erstmal alle Fenster um mehr Licht zu haben. „So, nur noch eins“ murmelte sie und ging in das hinterste, noch etwas dunkle Eck des Hauses. Doch jäh blieb sie stehen, da war dieses Geräusch wieder. Vorsichtig bewegte sie sich weiter in die Richtung, allerdings bemühte sie sich darum jedes Detail genau zu beobachten, und nichts aus den Augen zu lassen. Als sie fast am Fenster angekommen war, streckte sie sich und stieß die Scheiben auf, sofort wurde es auch in diesem Eck hell. Neugierig sah sie sich um und machte eine Entdeckung: da war etwas Lebendiges, ein Tier...etwa kniehoch und wuschelig. Ina wusste nicht, was sie tun sollte. So ging sie erstmal zurück an das andere Ende des Häuschens und setzte sich auf den Stuhl. Überlegungen schossen ihr durch den Kopf, aber irgendwie war nicht das richtige dabei. „Erstmal wird ich hier etwas Ordnung machen“ nahm sie sich vor.
Sie suchte sich einen Besen und begann im Haus zu kehren, immer mit Blick auf die Ecke. Nach dem kehren suchte sie sich einen Lappen und machte sich ans Fenster putzen und abwischen der Möbel. Langsam aber sicher kam sie der geheimnisvollen Ecke immer näher. Sie versuchte jedoch, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen und summte leise vor sich hin. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie neugierige Ohren, die in ihre Richtung aufgestellt wurden und eine neugierige Nase, die ab und an zu schnuppern begann. Ina schmunzelte und machte fröhlich weiter. Zum Schluss entdeckte sie noch einen Eimer, sie holte Wasser und begann den Boden zu wischen. Hm, nun war sie fertig, aber das kleine wuschelige Ding wollte einfach nicht rauskommen und sich zeigen. Da war guter Rat teuer. Nachdem Ina nun überzeugt davon war, das dieses Haus unbewohnt war, öffnete sie nun auch die Schränke in der kleinen Küche. Ein paar Tassen und Teller kamen zum Vorschein, auch ein Topf und eine Pfanne. In dem Unterschrank entdeckte sie eine Dose mit Hundefutter und einen alten, verklebten Napf. Schnell begann sie, diesen zu säubern und das Futter hinein zu füllen. Es war also ein Hund, der da in der Ecke saß....nur, wie lange mochte er schon alleine sein? War er ausgesetzt worden? Vergessen worden? War er fortgelaufen und hatte sich hier verirrt? Fragen über Fragen schossen Ina durch den Kopf. Wie große er wohl sein würde, ob er böse und angriffslustig war?
Egal, erstmal wurde der Napf auf den Boden gestellt und der Geruch des Futters verbreitete sich im Häuschen. Ina schob ihn langsam in Richtung des Hundes, aber nicht zu nahe, schließlich wollte sie ja, das er aus der Ecke hervor kam. Scheinbar uninteressiert setzte sie sich an den kleinen Tisch und schaute angestrengt in eine andere Richtung....ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als sie aus den Augenwinkeln sah, das der Futtertrick funktionierte. Langsam und vorsichtig, nach allen Seiten schnuppernd kam das kleine, wuschelige Etwas aus der Ecke. Inas Gedanken überschlugen sich.
Sie sah, das der Hund erstmal Pflege brauchen würde, also baden, kämmen und vor allem einiges an Futter. Er war nur noch Haut und Knochen. Aber wie sollte sie das tun? Mit ihrem letztem Geld musste sie ja noch die 5 Tage überbrücken, und es war nur noch diese einzige Dose an Futter in diesem Haus gewesen. Sollte sie das Tierheim verständigen? Die würden sich sicher drum kümmern, aber der Hund sah schon älter aus, ob er nicht sein leben im Tierheim verbringen müsste. Ina wusste auch, das Tiere, die kein Zuhause fanden, eingeschläfert wurden. Und das wusste sie jetzt schon, das wollte sie auf keinem Fall. Dieses schöne Gesichtchen, mit den weißen Kippohren und der spitzen Schnauze war allerliebst und hatte sich gleich in ihr Herz geschlichen. Sie bewegte sich vorsichtig, um den Hund besser betrachten zu können...aber sofort verschwand das Tier wieder in seiner Ecke.
Gut, so würde das nichts werden. Ina stand auf, sie hatte einen Entschluss gefasst. Die Fenster wurden sorgfältig verschlossen, die Türe zog sie hinter sich ins Schloss. Sie prüfte noch mal, ob diese nicht aufspringen würde, dann ging sie schnellen Schrittes in Richtung Stadt. Im Supermarkt angekommen wurde erstmal durchgerechnet, was sie von dem Geld alles besorgen konnte. Nach und nach füllte sich der Einkaufswagen mit Futter, Tierbürste, eine Packung Leckerlies, einem Halsband, einer Leine und etwas Brot und Marmelade für sich. Kurz vor der Kasse nahm sie noch ein Päckchen Tee mit, den konnte sie ja auch kalt trinken. Als sie alles aufs Band schlichtete, rechnete sie in Gedanken noch mal die Preise nach, ja, es musste reichen...es musste einfach. Gespannt blickte sie auf die Verkäuferin. „27,45 bitte“, Ina fiel ein Stein vom Herzen und strahlend gab sie der Verkäuferin die gewünschte Summe.
Vollbepackt wie sie war, lief sie nach Hause, sie hatte eine Entscheidung getroffen. Sie würdigte der bedrückenden Umgebung ihrer Wohnung keines Blickes, lief rasch die Treppen nach oben, packte Waschsachen, Kleidung, Anlage, CDs und noch den restlichen Kaffee ein, zog die Türe hinter sich ins Schloss . Vor lauter Eifer vergaß sie sogar das zuschließen, als sie es unten im Treppenhaus bemerkte war es ihr eigentlich egal, sie wollte nur noch weg hier.
Sie merkte nicht, das sie Obdachlosen sie mit verständnislosen Blicken ansahen, sie bemerkte auch nicht die Scherben und die dreckigen Strassen, sie war mit ihren Gedanken schon bei dem Hund. Eilig lief sie den Weg zum Wald hinauf, was mit den Sachen unter dem Arm nicht gerade einfach war. Endlich war sie da.
Sie stellte die Tüten ab und öffnete langsam die Türe um den Kleinen nicht zu erschrecken. Dann trug sie wie selbstverständlich die gekauften Sachen hinein, eins nach dem anderen. Nun begann sie langsam die Lebensmittel einzuräumen, sie bemühte sich, nicht hektisch zu wirken und den Hund nicht zu verschrecken. Immer wieder blickte sie aus den Augenwinkeln in die Ecke und sie war sehr erfreut, als sie feststellte, ihre Bewegungen wurden interessiert verfolgt. Wie gerne wäre sie zu dem Kleinen gegangen, hätte ihn gestreichelt und gedrückt...sie musste sich schon sehr zusammen reißen.
Als alle Sachen untergebracht waren, steckte sie die Anlage ein, und drehte sie leise auf. Voll Sorge beobachtet sie den Hund, ob er sich wohl wieder verkriechen würde? Nein, er lag auf dem Boden, neben dem leeren Napf und verfolgte alles ganz genau. Nun musste sie sich aber Ablenkung beschaffen. Als erstes füllte sie den neuen Napf mit frischem Wasser und stellte ihn etwas mehr in die Mitte des Zimmers, dann verließ sie den Raum und machte sich in dem kleinem Garten zu schaffen. Ina wollte versuchen, so gut es ging, die Löcher im Zaun zu reparieren. Mit dem Hammer und den Nägeln die sie gefunden hatte, machte sie sich ans Werk.
Mit Feuereifer war sie bei der Sache, ihr wurde warm .Sie zog ihre Jacke nur aus und warf sie in Richtung der Türe. Als sie fast fertig war, bemerkte sie, das es finster wurde. „Diese 2 Löcher mach ich auch noch schnell“ sagte sie zu sich selber, „dann kann er raus und nicht davon laufen“. Hastig suchte sie noch aus dem Holzstapel hinter dem Haus 4 Latten und nagelte diese an den Zaun. Ina trat zurück und betrachtete ihr Werk. Es sah nicht wirklich provessionell aus, aber den Zweck erfüllte es allemal. Stolz lag auf Inas Gesicht, endlich spürte sie nicht mehr dieses Gefühl der Leere und Unzufriedenheit in sich. Sie hob Hammer und Nägel auf, drehte sich um und ging Richtung Türe. Überrascht sah sie, das der Hund sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Er lag wie selbstverständlich auf ihrer Jacke und verfolgte jeden Schritt den sie machte. Ina überlegte, was sie tun sollte, dann beschloss sie, keine Rücksicht zu nehmen und ohne zu zögern ins Haus zu gehen. Wie vorhergesehen lief der Hund wider in seine Ecke, aber nicht so weit wie vorher. Ina begab sich in das kleine Bad und wusch sich ab.
Ach, es wäre zu herrlich, wenn sie für immer hier bleiben könnte. Sie beschloss, die nächsten Tage Nachforschungen anzustellen, um herauszufinden, wer der Besitzer dieses Hauses war. Hungrig trat sie zurück in das Zimmer und sah überrascht, das der Hund sich noch weiter in die Mitte des Raumes getraut hatte. Sie betrachtete ihn, er war weiß -schwarz gefleckt, ungefähr kniehoch und hatte mittellanges Fell, das allerdings sehr verwahrlost aussah und durch das man auch die Knochen sehen konnte. Er sah sie direkt an, und sie bemerkte seine wunderschönen, bernsteinfarbenen Augen. Nein, sie würde den Hund nicht ins Tierheim geben, niemals. In dem Blick des Hundes lag Angst, aber auch Neugier und irgendwas, was sie bis ins Herz traf.
Ina hatte auf einmal einen Kloß im Hals. Es war ein unerklärlicher Blick, der ihr sehr nahe ging. Sie hob den Napf vom Boden auf, wusch ihn aus und füllte ihn neu. Dann stellte sie ihn auf den Platz, den sie sich als Futterstelle ausgesucht hatte. Schnell holte sie den Wassernapf und stellte ihn daneben. Sie war gespannt, ob der Hund auch dort fressen würde. Um sich abzulenken begann sie, sich einen Tee zu machen und ein Brot zu streichen. Dann setzte sie sich an den Tisch, den sie vorher ans Fenster gerückt hatte. Langsam aß sie ihr Brot und genoss dabei den Blick ins Grüne. Etwas Angst hatte sie schon vor der Nacht, so alleine in einem fremden Haus mitten im Wald. Sie war ganz in ihren Gedanken versunken, so das sie gar nicht bemerkte, wie der kleine Hund sich langsam seinen Näpfen näherte. Überrascht sah sie auf, als sie die Geräusche bemerkte, die er beim fressen von sich gab. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht.
Sie stand auf um den Tisch abzuräumen, Faith, so hatte sie den Hund getauft sah sie nur kurz an, ließ sich aber nicht weiter beim fressen stören. Ina nahm ihre Tasse Tee und ging in den Garten. Sie holte sich die kleine, schon fast kaputte Bank und schob sie neben die Türe. Dann setzte sie sich hin und ließ die ruhige Umgebung auf sich wirken. Durch die ungewohnte Arbeit und der Ruhe schlief Ina ein. Sie hatte den Kopf an die Hausmauer gelehnt, die Tasse stand auf der Bank. Nach einer ganzen Weile wurde Ina geweckt, jemand schüttelte sie am Fuß. Blinzelnd bemühte sie sich, wach zu werden und blickte in die Dunkelheit. Faith stand nahe an ihrem Fuß und stuppste sie mit der Schnauze an. Ina musste lachen „ja, ok .ich komm ja schon rein“ sagte sie beruhigend zu ihm. Irgendwie war es in dem Augenblick für Beide eine selbstverständliche Situation. Ina registrierte dies auch erst, als sie auf dem hartem, schmalen Bett lag und kurz vor dem Einschlafen war.
Am nächsten Morgen sah sie beim aufwachen in neugierige, erwartungsvolle Hundeaugen. Faith saß vor ihrem Bett und wartete schon auf sein Futter. Ina setzte sich langsam auf, um ihn nicht zu erschrecken. Vorsichtig streckte sie die Hand in Richtung seines Kopfes und streichelte schnell darüber. Dann stand sie schnell auf um das Futter zu zubereiten und kaffe hinzustellen. Während Faith fraß, ging sie sich waschen und umziehen. Das hatte sie gestern vor lauter Müdigkeit nicht mehr geschafft.
Ina hatte sich heute vorgenommen Faith zu kämmen, sie war schon gespannt, wie das funktionieren würde. Nach dem Frühstück ging sie zu Faith in den Garten. Er hatte sich neugierig umgesehen und lag in der Morgensonne unter einem kleinen Apfelbaum. Mit Leckerlies in der Hand kniete sie sich vor ihn hin. Faith kam langsam schnuppernd auf sie zu, und fraß ein Leckerlie aus der Hand. Ina strahlte, das hätte sie sich gestern noch nicht träumen lassen. Erwartungsvoll blickte Faith sie an, sie strich ihm leicht übers Fell, dafür gab es wieder ein Leckerlie. Langsam entspannte sich die Situation, Faith legte sich zu ihren Füßen ins Gras. Ina nahm die Bürste und begann ganz vorsichtig über das Fell zu kämmen. Zu ihrem Erstaunen schien dem Hund das zu gefallen. So verbrachten sie fast über eine Stunde im Garten. Als er durchgekämmt war, wurde er natürlich mit viel Leckerchen und Lob belohnt.
Ina überlegte kurz, ging dann ins Haus und kam mit dem Halsband zurück. Würde Faith es sich gefallen lassen? Neugierige Hundeaugen blickten zu Ina auf, als sie sich vor ihm hinkniete. Etwas zittrige Hände hatte sie schon, aber sie sprach mit ruhiger Stimme auf Faith ein. Er ließ es sich gefallen und nachdem das Halsband zugemacht war, lief er stolz durch den Garten. Ina musste lachen.
Dann ging sie nach innen, um das Haus aufzuräumen. Sie stellte die wenigen Möbel um und in Gedanken überlegte sie, wie sie den Besitzer des Hauses finden könnte. Etwas Angst hatte sie aber schon davor, was würde sie machen, wenn er das Haus nicht hergeben wollte? Um sich abzulenken ging Ina in den Garten, denn da war noch viel zu tun. Sie zupfte das Unkraut aus den Blumen, schlichtete kaputte Äste auf einen Haufen und verstärkte die Bank.
In einem Schrank hatte sie noch etwas blaue und weiße Farbe und einen Pinsel gefunden, und begann nun, die Fensterläden und den Türrahmen in dem Blau zu streichen. Faith lag in einiger Entfernung und sah ihr zu. „Na, was meinst du, malen wir die Bank auch blau an?“ Ina kam es vor, als wenn Faith nicken würde, und so begann sie auch die Bank zu streichen. Als die blaue Farbe verbraucht war, nahm sie Weiß und strich die Fensterrahmen und die Tür.
Mittlerweile war es schon Abend geworden und Ina bemerkte, wie sich ein Hungergefühl breit machte. „Du hast sicher auch Hunger, oder? Also komm Faith“, sie klopfte mit der rechten Hand an den Oberschenkel, Faith stand auf und ging mit ihr ins Haus.
Als Beide gesättigt waren ruhten sie sich noch etwas im Garten aus, besser gesagt, Ina ruhte sich aus, mit einer Decke im Gras liegend denn die Bank war ja noch nicht trocken, und Faith sprang im Garten herum. Als auch er müde war, kam er langsam auf Ina zu und legte sich zu ihr auf die Decke. Ina drehte sich auf den Rücken und schaut in den Himmel, wie sollte sie nur den Besitzer dieses Hauses finden, und wie könnte sie das Haus nur behalten.
Da fiel ihr Bell ein, und Bells Vater...die würden ihr sicher helfen. Nur, dann müsste sie alles erzählen, das sie die Arbeit verloren hatte, das das Geld nie reichte, einfach alles. Ina war das peinlich. „Was soll ich tun?“ fragte sie Faith. Dieser sah sie mit seinen bernsteinfarbenen Augen vertrauensvoll an. Ina musste schlucken, hoffentlich würde alles gut werden.
Am nächsten Tag verließ Ina das Häuschen ganz früh am Morgen. Faith sah ihr am Fenster nach, wie sie festen Schrittes den Weg hinab zur Stadt ging. Da Ina das ganze Geld ja für die Einkäufe gebraucht hatte, musste sie die Stadt zu Fuß durchqueren.
Sie blickte in den Himmel, er war strahlendblau, wie wenn er ihr Mut machen wollte. Ina seufzte kurz, bevor sie die Türe der Kanzlei öffnete. Bell saß da, wie immer perfekt gestylt und mit einer Tasse Kaffe in der Hand.
„Mensch Ina, wo warst du denn? Du hast dich nicht gemeldet, was ist denn los? Komm, erzähl schon“ sprudelte Bell los und nahm Ina in den Arm. „Du hast abgenommen“, fragend sah Bell Ina an. Diese konnte nur nicken. „Du Bell, hat dein Vater kurz Zeit für mich? Es wäre wichtig“ fragte Ina stockend. Bell sah sie überrascht an: „Ja du hast Glück, es hat gerade ein Mandant abgesagt, komm mit“ und schon führte sie Ina in das Büro ihres Vaters.
Nach einer kurzen Begrüßung wollte Bell das Zimmer verlassen, doch Ina bat sie dem Gespräch bei zuwohnen. Sie holte tief Luft und begann von ihren letzten Monaten zu erzählen. Von den Spekulationen des Chefs, dem Verlust von Arbeit und Wohnung, von der Geldknappheit und dem Häuschen, das sie durch Zufall gefunden hatte. Es war wie eine Befreiung für sie, sie erzählte von ihren Ängsten und Nöten und von ihrem Wunsch nach Arbeit und das Häuschen behalten zu können. Bell und ihrem Vater war der Schreck deutlich in den Gesichtern anzusehen. Schließlich hielt die Freundin nichts mehr auf dem Stuhl, sie sprang auf, nahm Ina in den Arm und drückte sie. „Warum hast du nichts gesagt, keinen Ton?“ Bell war fassungslos und ihr standen Tränen in den Augen. Ihr Vater räusperte sich, blickte Ina an und sagte:“ Wo genau ist denn dieses Häuschen?“
Ina beschrieb es ihm so genau sie konnte, dabei bemerkte sie, wie ein Lächeln über das Gesicht von Bells Vater glitt. Unsicher sah sie ihn an. „Also, das ist so“ Bells Vater holte Luft „ dieses Häuschen, das du mir da beschreibst, gehörte Bells Uroma. Ich wollte es schon seit langem verkaufen, da es für mich zwar von Erinnerungswert ist, aber ich leider keine Zeit habe, mich darum zu kümmern. Dieser Herr, der heute kommen wollte, also der den Termin vorhin aus Zeitgründen abgesagt hat, will dieses Haus kaufen“ Über Inas Gesicht legte sich ein Schatten, das Häuschen...das war für sie verloren. Es stand zum verkauf, niemals könnte sie sich das leisten. Sie musste schlucken, um die Tränen aus den Augen zu verdrängen.
Wohin nur mit Faith, doch ins Tierheim? In dieser Umgebung wo sie wohnte, das war nichts für den Hund. Die Tränen wollten sich nicht verdrängen lassen, Ina schluckte erneut.
Traurig sah sie Bells Vater an, doch der nickte ihr nur lächelnd zu. „Da ich das Haus eh noch nicht verkauft habe, und es ja schon seit Jahren leer steht kommt es mir nicht darauf an, wie lange es noch dauert, bis es verkauft wird. Und vor allem, etwas an Erinnerungen steckt ja in dem Häuschen.“ Er blickte etwas wehmütig, „denn dort bin ich aufgewachsen, bei meiner Großmutter“ Ina sah ihn durch den Tränenschleier an, und verstand nicht, was er ihr damit sagen wollte. „Kurz und gut, ich möchte, das du dort wohnen bleibst. Du bekommst von mir die Mittel um es wieder zu renovieren, ich werde dir jede Hilfe zu teil werden lassen“
Ina wurde ganz blas im Gesicht, hatte sie das richtig verstanden? Alles um sie herum begann sich zu drehen. Es war wohl etwas viel gewesen die letzten Tage. Bells Vater eilte zu Ina und führte sie auf die kleine Couch, die im Zimmer stand. Bell lief schnell hinaus und besorgte ein Glas mit kaltem Wasser, das sie Ina zum trinken reichte.
„Aber, aber ich kann doch keine Miete zahlen, ich hab doch nicht soviel...und auch keine Arbeit“ Ina stotterte das alles nur.
Bells Vater sprach beruhigend auf sie ein. Er erklärte ihr, das seine Großmutter damals immer ein Tierheim für verlassene Tiere daraus machen wollte, weil der ganze Wald ja noch dazu gehören würde. Aber sie war zu krank um das zu verwirklichen zu können. Sie hatte damals, kurz vor ihrem Tode noch erzählt, das sie ein Sparbuch extra zu diesem Zweck angelegt hätte, und im Laufe der zeit einiges zusammen gekommen sei. Sie wollte immer, das das doch verwirklicht werden würde. „Nur Bell“, sagte er „hatte nie diesen Hang zu den Tieren und der Natur. Ich hätte das Geld dem Tierschutz gespendet, auch das Geld aus dem Verkauf dieses Hauses.“ Langsam fasste sich Ina:“ Und das bedeutet jetzt?“ Bells Vater sah sie an: „Ich sehe jetzt eine Möglichkeit, den Wunsch meiner Großmutter doch noch zu erfüllen. Ich möchte, das du, natürlich nur wenn du willst, dieses Häuschen übernimmst. Wir werden es gemeinsam renovieren. Ich werde Termine und Firmen engagieren und du wirst das alles vor Ort überwachen. Es werden Unterkünfte für Tiere gebaut werden, das Gelände wird eingezäunt werden und der Garten wird tiergerecht angelegt werden. Bist du damit einverstanden?“
„Und ich werde mich um den ganzen Schreibkram kümmern“ fügte Bell hinzu. Ina sah von einem zum anderem, dann sprang sie hoch und umarmte Beide. „Aber klar will ich. Vielen, vielen dank“ Bells Vater schüttelte den Kopf: „ich habe zu danken, so wird der Wunsch meiner Großmutter doch noch wahr“
„Wir brauchen noch einen Namen für das Haus“ , meinte Bell. Ina musste nicht lange überlegen: „ Es wird „keep the Faith“ heissen“
ENDE
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